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Banksy – Der Film

Nach einstündiger Suche hatte ich das Video im Netz gefunden. Zwar als Stream, aber auch diese Kopie von Exit through gift shop zählte, solange die andere noch auf dem Postweg war. Wenn man nur bereit ist, den allgemeinen Algorithmus der Suchmaschine zu hinterfragen, und auch die Links der vierten Seite per Hand verliest, dann findet man Banksy eben doch. Vielleicht nur eine Version von ihm… Aber worauf soll man schon stoßen, wenn man jemanden sucht, der beschlossen hat, aus seiner Anonymität Kapital zu schlagen? Einen Künstler, dessen Alias gefunden werden will, weil sein Geschäft in diesem Katz-und-Maus-Spiel besteht, weil er Spuren hinterlässt oder, besser gesagt, Fährten legt, weil er auf diese Art kommuniziert – mit uns, mit denen, im und mit dem öffentlichen Raum.
Seine Taten sind längst urbane Legenden, sein Witz ist makaber, tief und doch irgendwie klar, seine Arbeiten als Street Art Aktivist besitzen jene ikonografische Schärfe, die ihnen einen hohen Wiedererkennungswert sichert. All das zeigt auch sein Film, nur sein Gesicht und seinen bürgerlichen Namen verrät er uns nicht. Wer also glaubt, dank einer von Banksy selbst verfertigten Banksy-Doku hinter das Geheimnis von Banksy zu kommen, der spielt das Spiel nach Banksy-Regeln und wird doch enttäuscht. In einer hyperrealen Medien-Markt-Welt wird man um diese naive Hoffnung nur allzu leicht betrogen, da machen auch coole Künstler keine Ausnahme.
Warum also ein Film über einen, der nichts von sich Preis gibt? Was soll man da sehen? Ja, genau… Eben das! Das Rätsel seiner Realness: einen Typen unterm Hoodie, das Gesicht verschattet, die Stimme verzerrt. Darstellung des Undarstellbaren? Mitnichten. Nur eine Reproduktion unseres Bildes von Einem, der von der Straße kommt: einer der Coolen, die das tun, was sich nicht jeder traut, der bewusst Grenzen überschreitet, dorthin, wo man auch Krimineller heißen kann, wenn Sachbeschädigung und Person zur Anzeige gebracht werden. Und dieser Typ verklickert uns nun über die Kamera, dass ein anderer Typ eine Doku über ihn machen wollte, dass die Rollen sich aber auf eigentümliche Weise vertauschten und aus dem Regisseur ein Street Artist und aus dem Street Artist ein Regisseur wurde. Abgefahren! Verdammt, aber…  Riecht das nicht nach Konstruktion? Der Künstler und seine Double. Das verzerrte Spiegelbild des verborgenen Selbst. Doppelgängermotiv?
Aus des Rätsels Lösung wird die Dokumentation einer Dokumentation und aus Banksy unversehens Thierry Guetta, der peinliche Held des Films. Dem sollen wir nun glauben, wenn er indiskret, kaum eloquent und hoffnungslos deplatziert durch Banksys Meta-Doku stolpert?
Zu den Fakten der Fiktion: Thierry Guetta, der vom Filmen wie besessen scheint, findet über seinen Cousin Space Invader Zugang zum erlauchten Kreis der Global Player der Street Art, die sich natürlich gern von diesem dümmlich-niedlichen Neurotiker bei ihren illegalen Eingriffen im öffentlichen Raum dokumentieren lassen. Nach und nach lernt Guetta sie alle kennen: Shepard Fairy, Borf, Swoon etc. Bis auf einen, das „fehlende Stück im Puzzle“, den „mysteriösen Engländer“: Banksy selbst!
Doch es wäre ja kein Banksy-Film, wenn nicht auch er „wundersamerweise“ in Guettas Welt auftauchte, um sich bei seinen illegalen Eingriffen ablichten zu lassen. Der Film nimmt an Fahrt auf. Schnelle Schnitte, minimal-fetter Hip-Hop, Banksys Werke, seine Taten, internationale Schlagzeilen, reißerische Nachrichtensprecher – das ganze Arsenal! Und dann – in eine Aureole choraler Filmmusik gekleidet – sehen wir seine Hände bei der Arbeit: Ring, Uhr, Silberarmband, der Cutter, die Schablone, die Dose – Das war’s: Banksy selbst… Na, ja. War doch klar, dass er so „cool“, so „menschlich“ ist, wie Guetta, sein Akolyth, später stammelt. Und dann sagt er noch: „Banksy is what he represents!“
Banksy ist ein Banksy ist ein Banksy ist ein… Willkommen im Spiegellabyrinth postmoderner Ökonomien! Denn in erster Linie ist es ein Pseudonym, das für kontroverse Eingriffe in den öffentlichen Raum steht, in zweiter Linie aber ein erfolgreicher Künstler, dessen bürgerliche Existenz unbekannt bleiben soll. Nicht mehr und nicht weniger behauptet auch Guetta. Damit sind diese Worte gerade mal so authentisch wie Banksys Film selbst. Wenn Guetta nun aufgrund Banksys „direct order“ zu Mr. Brainwash (MBW) mutiert und eine größenwahnsinnige Ausstellung als Street Art Sell-out inszeniert, ohne ein ‚echter Künstler‘ zu sein, und wenn Banksy als finanziell erfolgreicher, aber eben ‚echter‘ Künstler kritisch den Kunstmarkt ins Visier nehmen will, dann verläuft, im Sinne des Films, doch alles nach Plan, oder?
Das Dilemma, dem Banksy sich damit stellt, lautet also: Wie kann man sowohl allgemein verfügbare Ware sein, aber dennoch ein einzigartiges Kunstwerk? In einer Kultur, die sich selbst längst nach dem Modell der allgemeinen Reproduzierbarkeit vervielfältigt, hat er vielleicht nur diese zwei Möglichkeiten: die Flucht ins bedeutungsvolle Schweigen oder die schizoide Selbstverleugnung. Mit seinem Film hat er Ersteres sicher nicht getan…
Die Tatsache, dass Banksys Street Art sich figurativ, inhaltlich und politisch präsentiert, dass sie, kurz gesagt, eine Aussage hat, liefert ihn einer Gefahr aus, die er selbst sicher längst ahnt und der er sich versucht, durch ironische Selbstdistanzierung zu entziehen: der Gefahr der Vereinnahmung! Der Vereinnahmung durch Markt, Medien und Diskursmacht. Banksys finanziell erfolgreiche Kapitalismuskritik spricht Bände… Wenn seine Arbeiten zudem aus dem Kontext gerissen werden, also aus dem öffentlichen Raum, dann beginnen sie ein Eigenleben zu führen, das sich den Gesetzen des Marktes und der Marken allzu leicht anpasst. Nichts anderes führt er uns im Film an MBW vor: Alles ist markant, also beliebig, dahinter steht nichts! Was Banksy noch in der Währung von fame und street credibility ausgezahlt bekam, konvertiert MBW vollends in finanziellen Erfolg. So wird die Konvertierbarkeit der Kunst zum Prinzip schlechthin. Banksy behauptet ihre Warenförmigkeit bis hin zur Inflation.
Wer wie er im Jahr 2010 einen Film über Street Art in die Kinos bringt, der bezieht sich also nicht auf ihren Ursprung, sondern auf ihren Erfolg. Ihm geht es nicht um die „größte Gegenkultur seit Punk“ in Form einer „authentischen Insidergeschichte“, nicht um ‚echte‘ Street Art, nicht einmal um deren Reproduktionen als Foto oder Film im Internet, sondern um die Simulation dieses Genres bis hin zum Hype.
Exit through the gift shop ist damit wohl eher das Rückzugsgefecht eines Künstlers, der am Erfolg zu scheitern droht! Banksys Anonymität ist dabei eine Strategie, die taugt, ihn vor inhaltlicher Vereinnahmung zu bewahren. Paradoxerweise schützt sie auch den Wert vieler seiner Arbeiten, denn welche Echtheit kann schon in Frage gestellt werden, wenn ihr Urheber unerkannt bleibt: Seine Anonymität sichert ihm Authentizität. Er bleibt einer von der Straße, behaupten zudem seine Hände im Film; irgendwo zwischen Hip-Hop, Handwerk und Verbrechen spielen seine Finger auf der Klaviatur der Stadt. Doch dabei stellt sich medial die Authentizität jeglicher Marke kaum anders dar. Ich bin, wie ich mich zeige, behauptet sie, welche Strukturen dahinterstecken, verrate ich nicht. Was hinter Banksys Film steckt, bleibt davon nicht unberührt.

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